ALTERED STATES Read online

Page 11


  Am 16. April, 18.22 Uhr, in den Tank gegangen.

  Dann zog er auch die Uhr noch aus, legte sie auf den Kleiderhaufen, hob den Deckel auf, kletterte in den Tank und legte den Deckel auf, während er sich langsam im Wasser hinsetzte. Nur das Kopfteil ließ er noch offen. Er legte sich in dem tintigen Wasser zurück, bewegungslos, ließ seinen Körper absinken, seine Augen schimmerten weiß in dem schwarzen Viereck der Deckelöffnung, und lauschte auf die stiller werdende Stille. Einen Augenblick später langte er mit einem Arm nach oben, klappte die kleine Öffnung im Deckel zu und schloss sich in schwarze Finsternis ein. Er ruhte bewegungslos, sein Atem wurde immer flacher, bis er etwas Eigenständiges geworden war; Jessups ganzes Sein, all die verschiedenen Ausprägungen seines Selbst strömten zusammen in diesem Zentrum des Atems, das jetzt Zentrum von allem war.

  Kurz vor halb neun hob er den Deckel und kletterte aus dem Tank; das war nicht ganz einfach, denn als er jetzt über den Rand des Tanks in das bräunlich gelbe Licht des Zimmers stieg, war er ein fein behaartes, kaum einen Meter zwanzig großes Lebewesen, das aufrecht auf zwei Beinen stand, wenn auch mit etwas hängenden Schultern. Sein Gesicht zeigte deutlich menschliche Züge, abgesehen von dem massiven Knochenwulst über seinen Augenbrauen, einem vorstehenden, kinnlosen Kiefer, dem etwas abgeflachten Schädel und der niedrigen Stirn. Für eine menschliche Gestalt waren seine behaarten Arme ein wenig zu lang und die Beine etwas zu kurz; seine Füße hatten noch keine menschliche Form, es waren Greiffüße, aber er war dennoch ein anmutiges kleines, primitives Wesen - und hatte einen Bärenhunger.

  Hector Ortega, Angehöriger des Hauspersonals, rollte gegen halb zehn seinen Putzgerätewagen durch den Untergeschoßkorridor von Bau B und überprüfte dabei die Türen. Die Tür zum Isolationstank war unerklärlicherweise nicht verschlossen. Als er eintrat, sah er, dass Licht im Raum war. Er hatte ihn nie vorher betreten, die Tür war seit Jahren abgeschlossen. Geputzt werden musste der Raum offenbar nicht, aber er war neugierig und warf durch das Einwegfenster einen Blick in den eigentlichen Tankraum. Es war gerade so viel Licht, dass er den schwarzen, sargartigen Apparat in der Mitte sehen konnte.

  Für einen Augenblick dachte er, es sei wohl so eine Art Kapelle.

  Er arbeitete seit sechs Jahren in der Medical School, und im Untergeschoß hatte er schon allerlei seltsame Räume gesehen: Physiotherapie- und Pathologieräume, die Leichenkammer und den Kühlraum für die Anatomie, wo die Toten an Haken hingen wie Schweinehälften; warum nicht auch eine Kapelle? Ortega war ein geradlinig denkender Mann von neununddreißig Jahren, und Dinge wie Kadaver oder Särge brachten ihn nicht aus der Fassung. Er öffnete die Tür zum Tankraum, um sich die Sache näher anzusehen. Er hatte die Tür kaum aufgemacht, als er auch schon von einem wieselflinken, wilden kleinen Biest umgerannt wurde, das er in der ersten Verwirrung für einen Hund hielt. Natürlich erschreckte ihn diese Überrumpelung zunächst, aber er hatte sich gleich wieder gefaßt. Ein Hund konnte ihm doch keine Angst machen! Er stieß ein paar spanische Flüche aus, rappelte sich auf und ging auf den Korridor zurück.

  Was er da in etwa fünfzehn Metern Entfernung sah, war ein affenähnliches Wesen, das sich mit nichts vergleichen ließ, was er bis dahin gesehen hatte. Er wusste nicht gerade viel über Affen, aber so viel wusste er doch, dass sie sehr lange Arme und ein dichtes, raues Fell hatten und dass sie vor allem nicht aufrecht auf den Hinterbeinen standen wie dieses Wesen hier. Klein war es ja, nicht größer als Ortegas neunjähriger Sohn, aber es sah grimmig aus, gab bedrohliche, wilde Knurrlaute von sich und fletschte die Zähne, die zwar gelb waren, aber ansonsten sehr menschlich wirkten. Jetzt wurde ihm doch unbehaglich zumute. Vorsichtig langte er nach seinem Besen und schraubte den langen Stiel ab. Er rief nach seinem Kollegen, von dem er sich einen Gang weiter getrennt hatte.

  »He, Jameson!«, rief er; und dann noch einmal lauter: »He, Jameson! Bist du noch da? Komm mal her!«

  Seine Stimme hallte durch die leeren Gänge. Keine Antwort. Der Gedanke, dass er allein mit diesem Biest fertig werden musste, trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Er nahm den Besenstiel in beide Hände und machte einen Schritt auf das unheimliche Tier zu. Es beobachtete ihn argwöhnisch. Trotz der schrägen Stirn und der wuchtigen Brauen wirkte das Gesicht eher menschlich als äffisch, und die kleinen, tiefliegenden Augen betrachteten ihn mit einem menschlichen Ausdruck.

  »He, Jameson!«, rief Ortega wieder. »Komm um Gottes willen her und sieh dir das an!« Er schwang seinen Besenstiel gegen das Tier und begann vor Aufregung, spanisch zu sprechen: »¡Es mejor que salgas de aqui antes que cometa una locura!«

  Plötzlich war das Gesicht der Bestie wutverzerrt; sie erhob die behaarten Fäuste und kreischte vor Zorn.

  Das - war zu viel für Ortega.

  Er machte kehrt, stürzte den Korridor hinunter und um die Ecke auf Bau D zu, wo das Wachzimmer war. In den Gängen hallte das gellende Wutgeschrei wider. Ortega erreichte das Wachzimmer und klopfte an; er blickte sich um und umklammerte fest seinen Besenstiel. Der lange Gang war leer, nur das Echo der Schreie war noch zu hören.

  Sergeant George Obispo vom Sicherheitsdienst, ein großer, uniformierter Mann, öffnete die Tür auf das Klopfen. Er kannte Ortega nicht, sah aber gleich, dass er auch Puertoricaner war. Sie sprachen spanisch.

  »¿Que pasa?«, fragte Obispo. Ortega war immer noch außer Atem. Die Frage war gar nicht so leicht zu beantworten; er musste sich selbst erst besinnen, was eigentlich los war. »Hay un animal suelto en el edificio B.«

  »¿Que clase de animal es?«

  Wieder musste Ortega erst nachdenken. »Un mono, yo crea«, sagte er dann.

  Aus der Feme hallten wieder die Wutschreie herüber und wurden zwischen den Wänden der leeren Korridore hin und her geworfen.

  »Qué carajo«, knurrte Sergeant Obispo, schnallte seinen Gummiknüppel los und ging entschlossenen Schritts den Gang hinauf. Ortega trottete hinter ihm her und hielt seinen Besenstiel. Auf halbem Weg rückten sie dann doch etwas näher zusammen, denn etwa fünfundzwanzig Meter vor ihnen, dort, wo der Gang sich mit dem Korridor von Bau B kreuzte, sprang das Tier plötzlich ins Blickfeld, nur umrisshaft zu erkennen in dem diffusen gelben Licht. Es verhoffte kurz, um sie zu betrachten, und brach in ein schrilles Kläffen aus. Offenbar fühlte es sich zwischen den engen Korridorwänden in der Falle. Plötzlich und mit verblüffender Schnelligkeit sprang es davon und verschwand in der rechten Hälfte des Korridors von Bau B.

  Als Obispo und Ortega den Kreuzungspunkt erreichten und um die Ecke spähten, fanden sie den Gang leer. Am Ende gab es eine Tür, durch die man zum Erdgeschoß gelangte, aber diese Tür war sehr schwer und selbst für einen ausgewachsenen Mann nur schwierig zu öffnen. Die Bediensteten der Medical School beschwerten sich schon seit Jahren darüber. Kaum anzunehmen, dass das Tier diese Tür öffnen konnte, es saß also in der Falle. Es musste in den Gang gelaufen sein, der nach rechts abzweigte und zu den Klinikgebäuden führte. Dieser Gang hatte am Anfang und am Ende Türen, die abends um halb sechs abgeschlossen wurden.

  Sergeant Obispo löste sein Walkie-Talkie vom Gürtel und nahm Verbindung zu zweien seiner Leute auf, die für diese Nacht zur Bewachung der Bibliothek eingeteilt

  waren. »Charlie, hier im Untergeschoß von Bau B ist ein Tier los; komm sofort mit Mingus rüber.«

  Er ging langsam den Gang hinunter und sprach dabei weiter in sein Funkgerät: »Wir sind im Nordkorridor, der zum Schwesternwohnheim geht; ihr müsst aus der anderen Richtung kommen, damit wir uns an der Tür treffen. Wir halten das Vieh in Schach, aber es ist ein ziemlicher Brocken von einem Affen; ich will lieber die Versuchstierabteilung anrufen und fragen, was das Biest hier unten tut. Also passt auf, es scheint nicht ungefährlich zu sein. Und beeilt euch, ich weiß nicht, wie lange wir es hier unten festnageln können.«

  Als sie den Nordkorridor erreichten, war der Affe jedoch nirgends zu sehen. Die Beleuchtung war hier ziemlich schummrig. Eine der Leuchtstoffröhren war vor Monaten ausgefallen und noch nicht ersetzt worden - auch eine der Beschwerden, die regelmäßig bei der Hausmeisterei eingingen. Dieser Teil des Korridors wurde gelegentlich als Abstellraum benutzt; ei
ne Wellblechtür führte zur Laderampe an der Longwood Avenue. Vor dieser Tür standen ein paar große leere Pappkartons. Außerdem diente dieser Abschnitt noch als behelfsmäßiger Umkleideraum für die Studenten; an beiden Wänden standen dicht aneinandergereiht graue und grüne Spinde. Man konnte hier in dem ungenügenden Licht kaum etwas erkennen.

  »Er versteckt sich irgendwo da drinnen«, meinte Ortega.

  »Yo no se«, sagte Obispo. Mit einer Kopfbewegung zur Ausgangstür fragte er: »Ob er wohl da raus ist?«

  Nein, das glaubte Ortega nicht. Er zog die schwere Tür auf, warf einen Blick über die Treppen zum Erdgeschoß und zum zweiten Untergeschoß. Sergeant Obispo hängte sein Walkie-Talkie wieder an den Gürtel, betrat mit dem Knüppel in der Hand den dunklen Nordkorridor und klopfte im Vorbeigehen gegen die Spinde.

  Plötzlich sprang der Affe mit einem markerschütternden Schrei von oben auf ihn herunter. Obispo stürzte mit einem Entsetzensschrei hin, sein Knüppel schlug neben ihm zu Boden. Ortega, der schon vorsichtig bis auf halbe Höhe der Treppe zum zweiten Untergeschoß vorgedrungen war, hastete zurück und wurde Zeuge einer Szene, bei der sich ihm die Haare sträubten: Im halbdämmrigen Licht des Nordkorridors schlug der unheimliche kleine Affe auf den rücklings daliegenden kreischenden Sergeant Obispo ein, und zwar mit dessen eigenem Stock.

  Durch die drahtverstärkte Glastür sah Ortega das verzerrte Bild zweier uniformierter Wachmänner, die sich von den Klinikgebäuden her näherten. Jetzt schienen Obispos Schmerzensschreie sie zu erreichen, denn sie fingen an zu laufen und zogen ihren Schlüsselbund heraus. Der eine von ihnen, Charlie Thomas, mühte sich, die Tür aufzuschließen. Währenddessen versuchten die beiden schon, durch das Drahtglas der Tür zu erkennen, was dahinter los war. Sie sahen, etwa zehn Meter weit weg, ein Gewirr von Schatten auf dem Boden, das sich plötzlich in drei einzelne Formen auflöste.

  Der Affe hatte seine Angriffslust jetzt auf Ortega gerichtet und setzte ihm unter schrillem Geschrei nach. Ortega, der Obispo zu Hilfe gekommen war, machte kehrt und rannte den Korridor hinunter. Die beiden Männer vom Sicherheitsdienst hantierten immer noch am Schloss herum, als plötzlich im Viereck des Türfensters ein kleines, wildes, behaartes Gesicht erschien, von dem welligen Glas zu einer grauenhaften Grimasse verzerrt. Die beiden prallten zurück; einer von ihnen, Mingus, fingerte an seiner Pistolentasche. Thomas bekam die Tür schließlich auf, und die beiden stürzten in den dunklen Korridor. Sergeant Obispo kauerte am Boden und hielt seinen blutenden Kopf; im nächsten Moment sank er bewusstlos um. Weiter unten, am Schnittpunkt der Korridore, schwang gerade die schwere Ausgangstür wieder ins Schloss. Was immer das für eine Kreatur gewesen sein mochte, jetzt war sie weg.

  Später konnte sich Jessup kaum noch an diese Schlacht erinnern und wusste auch nicht mehr, auf welche Weise er schließlich entkommen war. Seine erste Erinnerung war Regen, Nacht und die Hunde; drei verwilderte Straßenköter, die lautlos durch die nasse, dunkle Nacht streunten. Er beobachtete sie von einer geschützten Stelle aus, vielleicht war es ein Ladeneingang, vielleicht aber auch eines der ausgebrannten Häuser von Roxbury, einem Ghettoviertel unmittelbar südöstlich der Medical School.

  In Roxbury gab es überall Rudel wilder Hunde, vor allem in den verlassen Teilen.

  Jessup wartete, bis sie vorbei waren, aber bevor sie ganz verschwanden, glitt er wieder hinaus in den Regen und folgte ihnen in sicherem Abstand; den Schlagstock hatte er immer noch in der Hand.

  Er folgte den Hunden, weil sie das erste waren, was er verstand; sie waren seinem primitiven Bewusstsein vertraut. Auf jeden Fall musste er in dieser Nacht, ob er nun in Roxbury war oder sonstwo, Straßen überquert haben, auch breite und stark befahrene Straßen, zumindest Columbus Avenue und Tremont Avenue. Er musste Autos begegnet sein, Scheinwerfern, die durch den Regen strahlten, brummenden Motoren. Er musste an Häusern vorbeigekommen sein, an erleuchteten Fenstern, musste Fernseh- und Radio-Programme und all die anderen Geräusche der Stadt gehört haben. Wahrscheinlich sah er auch einige Fußgänger. Aber er konnte sich später an nichts dergleichen erinnern. Diese Dinge lagen weit außerhalb seines Fassungsvermögens und hinterließen keinen Eindruck. Er wusste nur, dass er allein, verlassen und auf fremdem Gebiet war, nur von seinen Urinstinkten getrieben, die Nacht zu überstehen, Futter und Wasser zu finden, Raubtiere zu umgehen, zu überleben. Was darüber hinausging, nahm er nicht wahr, behielt er nicht.

  Er lief den Hunden nach, weil sie wie er lautlose, ernste Jäger waren, magere, hungrige, gefährliche Tiere. Sie schnüffelten an leeren Konservendosen und zerfetzten Abfallsäcken. Er erinnerte sich, dass sie ein Stück flaches Gelände überquerten, das mit einer Art Geröll bedeckt war, wahrscheinlich eines der Gebiete von Roxbury, wo man die Häuser eingerissen hatte. Er blieb immer etwa fünfzig Meter hinter den Hunden und nahm sich einen scharfkantigen Stein mit. Später, als alles vorbei war, hatte er diesen Stein immer noch in der Hand. Es war ein Bruchstück von einem roten Ziegelstein. Die Hunde liefen weiter, Jessup hinterher wie ein Tier, das vom Rudel nicht aufgenommen worden war.

  Eine seltsame, unwirkliche Szene im verwüsteten Herzen der Stadt, drei verwilderte Hunde und ein kleines affenähnliches Wesen, die lautlos in den regennassen, schwarzen, leeren Straßen nach Beute suchten.

  Die Hunde wussten natürlich, wo sie hin wollten. Sie waren ja in ihrem Jagdrevier. Ihr Ziel war der Van Buren Park Zoo. Sie kannten da ein Loch im Zaun, und im Park jagten sie dann nach schlafenden Vögeln und anderen kleinen Tieren. Vorher durchstöberten sie aber noch die Abfallkübel vor den Apartmenthäusern gegenüber dem Zoo und schnüffelten auf der Suche nach Ratten einige Kellertreppen hinunter.

  Jessup stand derweil im Regen, schon nass bis auf die Haut, hielt seine Waffen fest umklammert und beobachtete die Hunde aus sicherem Abstand. Jetzt hörte er auch endlich vertraute Geräusche, das Trillern und Krächzen der Vögel von jenseits des hohen Eisenzauns. Er wartete geduldig, stumm, ein kleines, nicht gerade üppig behaartes Tier mit dem Gehirnvolumen eines Gorillas, aber gewitzt genug, den Wert eines Steins und eines Knüppels zu erkennen.

  Drüben auf der anderen Straßenseite gab es einen kurzen, heftigen Kampf, als sich die Hunde knurrend um irgendetwas stritten.

  Es konnte nicht viel gewesen sein, denn ein paar Sekunden später war alles wieder ruhig. Jetzt schlichen die Hunde über die Straße zum Zoo hinüber, nasse, schmutzige, hyänenartige Tiere. Sie schnüffelten langsam am Zaun entlang. Jessup beobachtete sie ohne eine Bewegung, gespannt und wachsam.

  Er wusste, dass er jetzt in ihrem Wind war.

  Einer von ihnen drehte sich plötzlich herum, die gelben Augen weit geöffnet und die Lefzen hochgezogen, so dass die Zähne sichtbar wurden. Einen Augenblick später knurrten auch die anderen Hunde leise zu Jessup herüber. Er hatte keine Angst, diese Tiere kannte er. Mit schrillem Geschrei stürzte er plötzlich auf die Hunde los und schwang drohend seine Waffen. Sie wichen zurück und blieben auf Abstand. Das Geschrei hatte die Vögel im Park aufgeschreckt. Plötzlich war fernes Flügelschlagen zu hören, und einige Vögel stießen Warnrufe aus. Zwei der Hunde warteten offensichtlich darauf, dass der Anführer etwas unternahm. Der Anführer, ein Doggenbastard mit weißer Zeichnung auf der Stirn, trottete leise grollend auf die Straße und versuchte, in Jessups Flanke zu kommen. Jessup beobachtete ihn argwöhnisch, knurrte drohend. Dann stürzte der Hund sich mit einem Sprung auf Jessup und wollte ihm an die Kehle. Jessup schlug heftig auf das weitgeöffnete, geifernde rote Maul ein. Jetzt griffen auch die beiden anderen Hunde an. Jessup erwartete sie zornentbrannt, schrie seine Wut in die regnerische Nacht hinaus und schlug mit seinem Knüppel und dem Stein um sich.

  Dann geschah etwas, an das Jessup sich später nicht mehr deutlich erinnerte. Der wilde Kampf um Leben und Tod wurde plötzlich unterbrochen, möglicherweise durch ein vorbeifahrendes Auto. Vielleicht wurden die Hunde durch das näherkommende Brummen des Motors und das grelle Scheinwerferlicht verscheucht. Als sie zurückkamen, um den Kampf wiederaufzunehmen, saß Jessup bereits auf einem Pfosten der Zooumzäunung. Da hockte er und neckte die Hunde, wie es eben Affen tun. Bald hatte er genug davon und sprang auf der an
deren Seite des Zauns hinunter in den Zoo. Auf einmal hatte er Erde und Gras unter den Füßen. Im Zoo selbst brannten keine Lampen, aber von den Straßenlaternen drang so viel Licht herüber, dass er Büsche und Bäume im Regen glitzern sah. Jetzt war er auf vertrautem Gelände, und er grunzte vor Freude.

  Er befand sich im Fasanengehege, einem langsam ansteigenden Gelände, in dem weiter oben der Vogelteich lag. In dem schwachen Licht sah er, wie der niedrige Mattenzaun und die Grasfläche allmählich nach oben hin in Dunkelheit und Stille verschwanden.

  Der Zoo schlief; alles war ruhig. Es mochte so gegen elf Uhr sein.

  Kurz darauf glaubte er, einen schwachen Schimmer am oberen Ende des Hangs zu erkennen, und meinte, das ferne Schnarren eines Kranichs zu hören. Er tappte durch das feuchte Gras weiter, stieß auf einen der Gehwege, die sich durch den Park winden, und ging darauf ein Stück weiter, bis er ein kleines Gewässer, den Vogelteich, in der Nacht blinken sah. Der Regen war jetzt nur noch ein feines Nieseln in der für Mitte April verhältnismäßig warmen Nacht. Die Luft war schwer vom Geruch der Tiere, still wie mit Schlaf durchtränkt.

  Diese völlige Dunkelheit und Stille beunruhigte Jessup; etwas stimmte nicht. Seine Kehle war völlig ausgedörrt, und er wäre gern über den niedrigen Zaun am Teich gesprungen, um seinen Durst zu löschen, aber er war noch zu Misstrauisch. Er ging auf dem Weg weiter. Das Gefühl des feuchten Asphalts unter den Füßen behagte ihm nicht, aber es war immerhin ein Pfad, der zwischen tropfenden Büschen und Bäumen hindurchführte, die er hin und wieder streifte. Dann stand er unvermittelt auf freiem Gelände und starrte erschrocken auf ein Steingebäude, das unmittelbar vor ihm aus der Erde wuchs; es war kaum zu erkennen, hob sich nur durch seine hellere Außenfarbe leicht gegen den schwarzen Hintergrund des Himmels ab.