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ALTERED STATES Page 3


  Wie dem auch sei, Dangerfield hatte jedenfalls diesen Achtzigtausend-Dollar-Zuschuss von der National Science Foundation, und er wollte, dass sie nach Nairobi ging und segmentale Schädelmessungen vornahm; vielleicht würde sie mikroskopische Spuren von Blutgefäßen finden oder Gehirnfurchen, die ihnen Anhaltspunkte für mögliche Veränderungen in den Hirnrindenlappen geben konnten. Sie würde sich im Hotel Ainsworth einquartieren und sich über die Schätze in Leakeys Museum hermachen. Und wenn es dann mit Harvard klappte, konnte sie zusammen mit Jessup nach Boston fahren.

  Sie war weit über das vernünftige Maß hinaus in Jessup verliebt. Trotz all ihrer kühlen Gelassenheit konnte er sie zu Tränenausbrüchen bringen, bis sie nur noch ein feuchtes Häuflein Elend war, das sich auf nichts mehr konzentrieren konnte. Mit der simplen Bemerkung, dass er an einem bestimmten Tag nicht mit ihr zum Essen gehen konnte, erzeugte er bei ihr einen Eifersuchtsausbruch, gegen den sie völlig wehrlos zu sein schien, obwohl ihr eigener Verstand ihr sagte, dass er unberechtigt war. Sie konnte nicht begreifen, weshalb ausgerechnet dieser Physiologe sie um den Verstand brachte. Er bemühte sich überhaupt nicht darum, liebenswürdig zu sein. Manchmal erschien er sogar ausgesprochen schroff, aber sie merkte bald, dass er es keineswegs darauf abgesehen hatte, ekelhaft zu sein. Er hatte einfach kein Verständnis für Dinge, die nicht zu seiner Arbeit gehörten. Kunst, Politik, Sport, Menschen interessierten ihn kaum. Er achtete nicht auf akademische Intrigen, auf Neid und Gehässigkeit, die in der Welt der Wissenschaft eine so große Rolle spielen.

  Andererseits war er jedoch anderen Wissenschaftlern gegenüber, die auf dem gleichen Feld arbeiteten wie er, äußerst verschwiegen und konkurrenzbewusst. Er sprach selten über seine Arbeit, denn er betrachtete sie als seinen intimsten Bereich. Mit ihr sprach er darüber, und daran erkannte sie, dass sie einen besonderen Platz in seinem Leben einnahm. Eigentlich war das sogar der einzige Ausdruck seiner Gefühle für sie. Auf keine Art konnte sie ihn dazu bringen zu sagen, dass er sie liebte. Er konnte mit dem Wort nichts anfangen, und deshalb gebrauchte er es nicht.

  »Ob es dir etwas sagt oder nicht«, beklagte sie sich öfters, »ich würde es einfach gern mal von dir hören.«

  »Warum müssen wir unsere Gefühle überhaupt definieren?« antwortete er meist. »Liebe wird allgemein als eine Sache von Elektrizität oder Magnetismus oder Chemie beschrieben. Kann man es dabei nicht belassen? Drüben in Yale gibt es einen Typ namens Harold S. Burr, der ungeheure Sachen über sogenannte Lebensfelder herausgefunden hat. Anscheinend haben alle lebendigen Dinge eine elektrische Aura, die man sogar mit einem Voltmeter messen kann. Vermutlich haben deine und meine Aura eine Art elektrische Affinität zueinander, eine verbindende Ionisation. Dieser Burr ist da auf etwas gestoßen, glaube ich. Ich habe ein paar von seinen Berichten zu Hause. Ich bringe dir mal einen mit. Ein verblüffendes Zeug ist das.«

  »Jesus Maria«, seufzte sie dann nur.

  Alle seine Freundschaften waren berufsbezogen, und sie dauerten nur so lange, wie sie ihm nützten. Er beutete sie bedenkenlos aus und konnte Emilys Missbilligung überhaupt nicht verstehen. Für ihn war es einfach nur vernünftig, seine Zeit mit Leuten zu verbringen, die ihm etwas zu geben hatten.

  »Aber was gibst du ihnen denn?«, entgegnete sie entrüstet.

  »Das weiß ich nicht. Ich habe keine Ahnung, was die Leute in mir sehen. Ich bin als Gesellschafter nicht viel wert, glaube ich. Manchmal frage ich mich, weshalb zum Beispiel du dich mit mir abgibst.«

  Das hatte sie sich selbst schon tausendmal gefragt - was war das nur, in das sie so hoffnungslos verliebt war? Die einzig denkbare Möglichkeit schien ihr zu sein, dass es sein Genie war. Wenn er auch noch kein beglaubigtes Genie war, so hatte er doch gewiss das Zeug dazu. Jeder, der ihn auch nur flüchtig kannte, hielt es für ausgemacht, dass er eines Tages den großen Durchbruch schaffen werde. Dass er eines Tages den Nobelpreis erhalten würde, hielt er selbst für unausweichlich, und jeder, der ihn kannte, stimmte dem zu. Er hatte einen außergewöhnlichen, wenn auch monomanischen Geist. Es war faszinierend, ihn zu beobachten, wenn irgendetwas in einem Gespräch eine verborgene Ader in ihm traf. Man konnte fast sehen, wie sein mächtiger Intellekt erwachte, wie seine Schenkel sich spannten - ein Raubtier, das eine Witterung aufnimmt. Er stellte dann Fragen nach kleinen Nebensächlichkeiten, Fragen, die wenig mit dem zu tun zu haben schienen worum es ging, die sich aber schließlich doch als sehr treffend herausstellten, Splitter eines Gesamtmusters, das sich instinktiv in seinem Verstand formte. Sein Gesicht belebte sich, wenn er so mit Fragen forschte und bohrte, er runzelte die Stirn, wenn die Antwort ihn nicht befriedigte, machte ein finsteres Gesicht und blinzelte, wenn er nicht gleich verstand, worauf jemand hinauswollte, schnitt Grimassen, wenn das Opfer seiner Fragerei nicht merkte, worauf er abzielte, und strahlte triumphierend, wenn sich plötzlich alles zu einem Ganzen zusammenfügte. Er hatte die erstaunliche Gabe, auch hochspezialisierte Einzelheiten zu erfassen, und fand stets mit tödlicher Sicherheit die schwachen Stellen in der Argumentation anderer Wissenschaftler, selbst wenn deren Arbeitsgebiet Lichtjahre von seinem entfernt war. Aber mehr noch als seine unersättliche Intelligenz fiel eine fast visionäre Gabe an ihm auf. Sein Geist konnte plötzlich mit einem Sprung in unbekannte Bereiche der Spekulation eindringen, und dann überließ er sich den unglaublichsten Hypothesen, die in ihrer Ungeheuerlichkeit schon poetisch waren. In solchen Augenblicken liefen ihr Schauer über den Rücken, und sie spürte in sich ein kurzes Aufflackern von Sinnlichkeit.

  Er war übrigens - gelinde gesagt - ein unbeständiger Liebhaber. Nicht immer ging es bei ihnen so wild zu wie in der ersten Nacht; oft schien er ihr gegenüber recht gleichgültig. Rosenberg erzählte ihr einmal, bei den sehr religiösen Juden würden die jungen Männer dazu angehalten, früh zu heiraten, um die fleischlichen Begierden so bald wie möglich hinter sich zu bringen und zum Eigentlichen vorzudringen, dem Studium des heiligen Gesetzes. Oft kam es ihr so vor, als erfüllte sie diesen Zweck für Jessup. Sie schliefen miteinander, wenn ihm danach war; das kam zwar oft genug vor, aber dann war es häufig nur wie eine plötzliche, heftige Entladung. Ein wenig Fröhlichkeit, das war es, was sie im Bett vermisste, und dennoch ging sie bei ihm mehr aus sich heraus als bei jedem anderen Mann. Im Grunde war sie ja ein braves Mittelklassenmädchen aus Nashville, dessen Vater eine Arztpraxis führte und dessen Mutter allen örtlichen Frauenvereinen angehörte, und ihre bürgerliche Seele war recht erschrocken über die schockierenden Empfindungen in ihrem Körper. Wenn es im Bett gut war, dann war es sehr gut, ein Feuerwerk zügelloser Orgasmen, fast vulgär in ihrer körperlichen Hemmungslosigkeit.

  Zugleich fühlte sie sich aber auch elend und verzweifelt.

  Den Rosenbergs vertraute sie an, dass sie mit Jessup Schluss machen musste, die Ausweglosigkeit, in die er sie getrieben habe, sei nicht mehr zu ertragen. Sie war immer ihr eigener Herr gewesen, und so sollte es auch bleiben.

  Selbst ihr blieb nicht verborgen, dass Jessup sie nicht liebte; es gab nichts, das er liebte. Er war unfähig zu lieben. Alles Menschliche war ihm fremd, er war wie ein Marsmensch. Sie machte seine Religiosität dafür verantwortlich. Das besessene neunjährige Kind, das Christus in Visionen sah, war nun ein besessener Mann, der in den Weltraum starrte. Wenn ihr noch ein Rest von Verstand geblieben war, sagte sie schluchzend zu den Rosenbergs, dann würde sie ihm sagen, dass er abhauen solle, und nach zwei verweinten Wochen wäre sie sicher darüber hinweg. Sie hatte Angst vor ihm, war ständig auf der Hut, immer darauf bedacht, nur ja nichts zu sagen, was sein ungeduldiges Stirnrunzeln hervorrief, mit dem er auf alles reagierte, was er banal oder albern fand. Sie hatte immer viel Umgang mit anderen Menschen gehabt, aber jetzt waren ihr nur noch die paar Freundschaften geblieben, die Jessup duldete. Man hatte ihr einfach das Leben weggenommen. Sie fühlte sich gedemütigt, entwürdigt, ausgebeutet und versklavt. Nachts konnte sie nicht schlafen, wanderte rauchend durch die Wohnung, schimpfte und fauchte alles aus sich heraus, was sie ihm an den Kopf werfen wollte; aber wenn sie wieder bei ihm war, brachte sie nichts heraus, und sie schämte sich ihrer Schwäche und Feigheit. So konnte es nicht weitergehen. />
  Es musste entschieden werden.

  An einem Nachmittag im April saßen sie auf einer Bank im Riverside-Park, umgeben vom ersten Frühlingsduft der Hartriegelblüten.

  »Hör mal«, sagte sie, »meine Eltern und meine Schwester wollen mich am nächsten Wochenende besuchen, ich möchte, dass du sie kennenlernst.«

  Er sah sie mit echtem Erstaunen an. »Warum denn das?«

  »Weil ich ein liebes, nettes Südstaatenmädchen aus Nashville bin und solche Mädchen ihren Zukünftigen der Familie vorzustellen pflegen.«

  »Redest du etwa vom Heiraten?«

  »Verdammt noch mal, weshalb reiße ich mir denn wohl ein Bein aus, um in Harvard eine Stelle zu finden?«

  »Damit wir zusammen in Boston sein können.«

  »Ja! Aber natürlich mit dem Hintergedanken, dass wir heiraten werden!«

  Da explodierte sie. Sie sprang auf und schrie: »Was zum Teufel willst du eigentlich von mir? Ich will das jetzt ganz genau wissen, und zwar sofort! Ich will wissen, wie wichtig ich für dich bin! Und ich sag dir eins: So wie jetzt geht es nicht weiter! Ich bin nicht irgend so eine abgebrühte Ziege, der es nur ums Bumsen geht! Ich pfeife auf diesen ganzen blasierten Quatsch! Für mich gibt's nur Liebe und Heiraten und Kinder und Heim! So bin ich aufgewachsen, und so bin ich nun mal! Ich liebe dich. Ich will heiraten, und ich will wissen, wie du dazu stehst! Ich will jetzt sofort eine Absichtserklärung von dir!«

  Es dauerte eine Weile, bis er auf diesen Ausbruch reagieren konnte. Sie kam sich töricht vor, wie sie so dastand und ihre Wut schürte und setzte sich.

  Schließlich sagte er: »Es würde eine Katastrophe geben, Emily.«

  Sie wusste, dass er so etwas sagen würde, und doch traf es sie unvorbereitet. Sie musste alle Kraft zusammennehmen, um nicht in Tränen auszubrechen.

  »Ich bin ein einsamer Mensch, Emily«, fuhr er fort, »das musst du wissen. Ich muss viel allein sein. Ich wusste, dass früher oder später so etwas kommen musste; es ist nicht so, dass ich daran nicht gedacht hätte. Ich bin einfach zu egoistisch, um Ehemann und Vater zu sein. Ich könnte es natürlich versuchen. Wenn du es wirklich willst, versuche ich es. Ich halte mich für einen verantwortungsbewussten Menschen, und ich würde ganz bestimmt mein Bestes tun, aber ich würde niemals daran glauben, verstehst du? Die Ehe wäre nur eine lästige Pflicht für mich - wie die Bewertung von Studenten-Arbeiten oder wie obligatorische Abteilungs-Versammlungen. Ich unterrichte nicht gern, wenn du diesen Vergleich verstehst, aber ich glaube, dass ich es ohne Nachlässigkeit tue. Aber ich mag es eben nicht, und ich bringe meine Pflichten so schnell wie möglich hinter mich, damit ich wieder zu mir zurückkehre. Und so wäre ich auch als Ehemann und Vater. Ich würde alles tun, was man von mir erwartet, aber nur, um damit fertigzuwerden, um endlich wieder bei mir zu sein. Ich glaube nicht, dass du damit einverstanden wärst.«

  »Nein, bestimmt nicht«, murmelte sie.

  Ihr ganzer Körper war wie zerschlagen vor Traurigkeit.

  »Du bist der erste Mensch, bei dem ich mich wohl fühle«, sagte er, »und ich glaube, du verstehst, was ich meine.«

  Mit gerunzelter Stirn blickte sie auf ihre Hände, die schlaff in ihrem Schoß lagen. Sie seufzte. »Ja, das war's also.« Sie fühlte sich völlig kraftlos. »Doch, ich verstehe dich, Eddie. Das Problem mit dir ist, dass du immer noch ein religiöser Fanatiker bist. Das alltägliche Leben hat für dich überhaupt keine Realität. Ich habe für dich keine Realität. Alles Menschliche hat für dich keine Realität, weil es ungewiss, unvollkommen, vergänglich ist. Du brauchst irgendeine große, unwandelbare Wahrheit. Du suchst immer noch nach Gottes Wahrheit oder irgendeiner anderen Wahrheit und sei sie gottlos, wenn sie nur endgültig, absolut und ewig ist. So ist das doch, oder? Ich liebe einen Priester ohne Soutane, einen abtrünnigen Mönch, einen Doktor Faustus, der seine Seele für die letzte Wahrheit verkaufen würde. Aber im menschlichen Leben gibt es nun mal keine Wahrheit. Schreiend vor Zweifel werden wir geboren, und im Zweifel erstickend sterben wir, und unser ganzes Leben lang müssen wir uns immer wieder einreden, dass wir lebendig sind. Uns zu lieben, so wie ich dich liebe, das ist eine Art, uns zu vergewissern, dass wir lebendig sind. Ich weiß, dass ich jetzt im Moment lebendig bin, weil es so verdammt weh tut. Aber du hast die zweiundsiebzig Gesichter Gottes gesehen, als du neun Jahre alt warst, und nichts Geringeres wird dich je wieder zufriedenstellen. Ich werde für dich niemals mehr sein als eine Ablenkung. Oh mein Gott, ich fange an zu weinen.« Sie verbarg das Gesicht in den Händen, konnte aber die Tränen nicht zurückhalten. Sie weinte leise.

  »Ich mag dich sehr«, sagte er mit abgewandtem Gesicht. »Ich bin gern bei dir. Ich schlafe gern mit dir. Ist das nicht genug?«

  »Ich bin fünfundzwanzig Jahre alt«, presste sie zwischen den Tränen hervor, »und es ist nicht genug.« Sie hob den Kopf und starrte in das Blau der heraufziehenden Dämmerung über dem Fluss. »Es ist gut, dass wir uns eine Weile nicht sehen. Du gehst nach Indien und ich nach Afrika, und vielleicht hilft mir das über alles hinweg. Meine Liebe braucht Erwiderung, Eddie. Ich kann nicht für den Rest meines Lebens in dieser Qual leben. Mach's gut. Und lass mich allein, ja? Lass uns einfach annehmen, dass wir uns trennen. Lass es dir gut gehen in Indien.«

  Sie stand auf und ging den Parkweg hinunter in Richtung Riverside Drive. Einen Augenblick lang wollte Jessup aufstehen und ihr nachgehen, aber dann blieb er auf der Bank sitzen und forschte in sich vergeblich nach einem Gefühl des Schmerzes.

  Am 17. Mai flog Emily nach London, wo sie ein paar Tage blieb, um mit einem Freund, der mit Napier in Äthiopien gearbeitet hatte, einige Unterlagen durchzugehen. Dann flog sie nach Nairobi weiter und stürzte sich dort sofort in ihre Arbeit mit den Schädelmessungen. In einem der flachen Gebäude hinter dem Nationalmuseum stellte man ihr in einem Büro eine Ecke zur Verfügung, und dort verbrachte sie den größten Teil des Tages über einen Schuhkarton gebeugt, in dem sich Schädelfragmente von Hominid Nr. 10 aus der Schlucht von Olduwai befanden. Fossile Knochenreste liegen meist in der Form kleiner Splitter vor, und es ist ein mühseliges Geschäft, diese Bruchstücke zusammenzufügen. Und trotz der großen Konzentration, die diese Arbeit erforderte, schossen ihr manchmal die Tränen in die Augen und liefen ihr über die Wangen; dann saß sie nur noch da, und die Hände sanken ihr in den Schoß.

  Zudem kamen ihr immer stärkere Zweifel, ob ihre Arbeit überhaupt sinnvoll war. Ein anderer, gerade promovierter Kollege, der typische blonde junge Schwede mit offenem Kragen und Safarishorts, in den sie sich verzweifelt zu verlieben versuchte, überzeugte sie davon, dass sich der Ursprung des Menschen nicht über die Anatomie, sondern nur über das Verhalten finden ließe. Er wusste, dass sie sehr unglücklich verliebt war, und überredete sie, ihre Greifzirkel einmal wegzulegen und einen Ausflug zu Jane Goodalls Lager in Tansania zu machen, um sich ihre Schimpansen anzusehen. »Im Busch überwindet man solche Liebesgeschichten am schnellsten«, sagte er, »und du kannst dann auch anfangen, das Verhalten anderer Primaten zu untersuchen. Dann bekommst du einen Eindruck davon, was für ein Wesen der Mensch am Anfang war, als er sich zum ersten Mal aus dem Wald herauswagte.«

  Der Vorschlag gefiel ihr, sie packte und fuhr los.

  Zehn Tage blieb sie in Jane Goodalls Lager, und jede Nacht weinte sie in ihrem Zelt. Es war aussichtslos; sie liebte Jessup, und sie wollte nur ihn, und endlich fasste sie den Entschluss, sich ihn zu holen.

  Sie fuhr mit dem Jeep zurück nach Nairobi, nahm das erste Flugzeug nach Bombay und einen Anschlussflug nach Delhi - ein sehr hübsches, fünfundzwanzigjähriges, blondes Mädchen in engen Bluejeans, mit dem verbeulten Koffer in der Hand und dem Rucksack auf dem Rücken kaum von den wilden Horden amerikanischer Hippies zu unterscheiden, die Indien zum Land des Jahres erklärt hatten und die Gänge der Flugzeuge mit ihrem Gepäck verstopften. Sie schlief während der ganzen langen Reise, wenn auch sehr unruhig.

  In Delhi nahm sie den Zug nach Simla und saß zwischen lauter dunkelhäutigen, hakennasigen Bengalis, die auf dem Weg zu einer Kali-Zeremonie in Simla waren. Der Zug mit seinen rumpelnden blauen Holzwaggons kletterte aus der Gangesebene die steilen Abhänge des Himal
ayas hinauf, umrundete zuckelnd einen Felsvorsprung nach dem anderen.

  Kurz nach zwei Uhr, in Schweiß gebadet und dem Fieber nahe, erreichte sie in der Gluthitze eines Augusttages Jessups Hotel und fragte, wo er zu finden sei. Man sagte ihr, er sei weiter oben in den Bergen, um einen Yogi zu besuchen. Sie ließ Koffer und Rucksack bei der Rezeption zurück und machte sich, geführt von einem Jungen aus der Gegend, auf den einstündigen Marsch. Sie war völlig erschöpft, die verklebten Haare hingen ihr wirr über das brennende Gesicht, als sie sich mit letzter Kraft auf einen schmalen, grasbewachsenen Vorsprung schleppte, wo am Eingang zu einer Höhle ein abgezehrter Yogi in der traditionellen Meditationshaltung saß. Ein kleines Kissen unter seinem Gesäß gab seinem Körper eine leichte Vorwärtsneigung, und er starrte mit glasigen Augen vor sich in den Schmutz. Von seinem Kopf aus führten acht Drähte zu einem transportablen EEG-Schreiber, der auf dünnen Aluminiumbeinen neben ihm stand. Darüber beugten sich Jessup in T-Shirt und Jeans und ein Inder in einem strahlendweißen Hemd, offensichtlich ein Kollege. Sie starrte die Szene einen Moment lang an, aber dann musste sie sich setzen; sie konnte keinen Schritt mehr weiter. Der schwarze Schlund der Höhle, der unheimliche Yogi, der nur einen Lungi trug, an seinem Kopf die Drähte und die Blutdruckmanschette am Arm - das alles schien so bedrohlich wie ein Alptraum.

  Dann blickte Jessup auf und sah sie.

  Natürlich war er sehr überrascht. Er entschuldigte sich bei seinem indischen Kollegen und kam langsam auf sie zu. Die Sonne stand hinter ihm, und sein Gesicht lag im Dunkeln, aber dann erkannte sie, dass er lächelte. Er reichte ihr eine Hand, um ihr aufzuhelfen.