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  Plötzlich abrupte Stille. Durchs Fenster sahen sie, dass Jessups Gesicht wieder entspannt und heiter war.

  Rosenberg drückte auf die Sprechtaste: »Alles in Ordnung, Eddie?«

  »Mir geht's gut«, kam Jessups überraschend ruhige, körperlose Stimme.

  »Soll ich dich runter holen?«

  »Mir geht's gut, ehrlich.«

  »Okay«, sagte Rosenberg, ließ die Sprechtaste los und wandte sich wieder Parrish zu. »Wie wär's mit Montagnachmittag?«

  »Wie wäre was?«

  »Ich würde gern etwas von unserer Mixtur zu dir rüberbringen und versuchen, das Zeug zu lokalisieren.«

  »Ja, Montag passt gut.«

  Am Montagnachmittag nahmen Parrish und Rosenberg drei Ratten aus ihrem Käfig und injizierten ihnen sieben Milligramm pro Kilogramm des Stoffs, den sie mit Tritium markiert hatten, um ihn verfolgen zu können. Eine Stunde später trennten sie ihnen unter dem Fallbeil die Köpfe ab. Köpfe und Körper wurden obduziert, die inneren Organe herausgenommen und zermahlen; eine Probe von jedem Organ kam in den Szintillator. Als sie das Gerät mit dem Gehirn beschickten, begann es heftig zu ticken.

  »Donnerkeil«, brummte Parrish, »er hat recht - alles im Gehirn.«

  »Ich wette, dass wir mindestens die Hälfte zurückgewonnen haben«, sagte Rosenberg.

  »Mehr«, meinte Parrish. »Das ist wirklich eine komische Sache.«

  Am Mittwoch erhärteten sie ihre Resultate mit Histofluoreszenz-Tests. Diesmal war auch Jessup dabei, der am Mittwoch nicht zu unterrichten brauchte. Sie injizierten den Stoff drei weiteren Ratten, schnitten ihnen die Köpfe ab, zerlegten die Organe im Mikrotom in hauchfeine Scheiben, die sie mit normalen und fluoreszierenden Antikörpern beschickten und unter einem Ultraviolettmikroskop untersuchten. Die fluoreszierenden Antigen-Antikörper-Komplexe waren als schimmernde kleine Flecken zu erkennen. Kein Zweifel, die Mischung hatte sich im limbischen System angereichert. Ihre höchste Konzentration hatte sie im Gyrus parahippocampalis.

  »Wenn ich noch halbwegs bei Verstand bin«, sagte Parrish, »dann ist das Zeug direkt in den Nervenzellen.«

  »Teufel noch mal«, sagte Jessup, »im Zellkern.«

  »Ich muss das Zeug fraktionieren«, sagte Rosenberg.

  Am Montag, dem 27. Oktober 1975, brachten Parrish und Rosenberg drei Schalen mit Rattenorganen in Charles Shimonas Biochemielabor. Ohne auf Shimonas liebenswürdige orientalische Neugier einzugehen, homogenisierten sie die Organe in einem Mixer und zentrifugierten sie anschließend mit 2000 U/sec. Nach zwanzig Minuten nahmen sie das Sediment der Zellkerne heraus und untersuchten auch das restliche Homogenat. Etwa siebzig Prozent der Mischung konnten sie zurückgewinnen, davon achtzig Prozent in den Zellkernen.

  »Wetten, dass dieser Mist in den Chromosomen ist«, knurrte Parrish.

  Sie gaben eine Probe der Flüssigkeit in den Chromotographen, gossen Lösungsmittel dazu und ließen es durchfiltern. Drei Stunden später, nach seinem Nachmittagskurs, kam auch Jessup. Parrish und Rosenberg nahmen gerade das Filtrat heraus und gossen es in das Flüssigkeits-Szintillationsspektrometer, das sie auf die Bestandteile der Drogenmischung programmiert hatten. Das Ergebnis stimmte mit den früheren Resultaten überein. Wieder gewannen sie den größten Teil der Drogenmischung zurück, und wieder das meiste aus den Zellkernen.

  »Ist euch schon mal eine psychotrope Droge untergekommen, die auf Nuklearniveau wirkt?«, fragte Parrish.

  »Nichts dergleichen«, sagte Rosenberg. »Sie verändern Membranen oder Synapsen oder blockieren Rezeptoren.«

  »Nur Antimetaboliten arbeiten auf Nuklearniveau.«

  »Ich wüsste gern, ob das Zeug sich mit Nukleinsäuren verbindet«, sagte Jessup.

  »Dann sollten wir uns lieber jetzt schon eintragen«, meinte Parrish. »Beim letzten Mal, als ich die Röntgenkristallographie benutzen wollte, musste ich zwei Wochen lang anstehen.«

  Parrish war jetzt schon ganz von der Untersuchung gefangengenommen. Man merkte ihm an, dass ihm die unbegreiflichen Resultate an die Nieren gingen. Einmal stand er nachts mitten im schönsten Gerangel mit einer Medizinstudentin plötzlich auf, ging ans Telefon und rief Jessup an. Es war nach Mitternacht, und Jessup schlief schon seit zehn Uhr. »Eddie«, sagte er, »wir sollten eine Halbwertszeit-Bestimmung machen. Wir haben die Ratten nach einer Stunde getötet, aber wer weiß, wie lange sich das Zeug im Gehirn halten kann? Wir hätten das schon lange tun sollen. Ich will wissen, wie lang die Halbwertszeit ist. Ich will das Transportsystem herausfinden. Ich will wissen, wie der Stoff über die Blut-Gehirn-Schranke kommt. Ich will Analogien finden.«

  »Ja, ja, gut«, gähnte Jessup, »den Isolationstank können wir sowieso die nächsten drei Wochen noch nicht benutzen.«

  Es war für Jessup in der Tat nicht einfach, sich Zugang zu dem Isolationstank in Bau B der Harvard Medical School zu verschaffen, aber nicht etwa deshalb, weil er so häufig benutzt wurde; er wurde gar nicht benutzt. Isolationstanks waren in den späten sechziger Jahren aus der Mode gekommen, zumindest an der Ostküste. Der Tankraum war schon lange abgeschlossen, und niemand wusste, wer den Schlüssel hatte, nicht einmal der Oberinspektor des Gebäudes. Jessup spürte ihn endlich im Harvard Center of Cognitive Studies auf. Als er den Raum betrat, stellte er fest, dass er inzwischen als Rumpelkammer gedient hatte. Umfangreiche Reparaturen waren notwendig. Im Tank mussten sie neue Leitungen für die Ton- und Polygraphen-Aufzeichnungen legen, und die Schallisolierung musste neu abgedichtet werden. Der Tank war kleiner und daher sargähnlicher als die Tanks, die Jessup in Bethesda und am Cornell Medical College benutzt hatte. Es war ein älteres Modell mit einem an Scharnieren gehaltenen Deckel. Er war nur einen Meter zwanzig hoch und brauchte nur 45 Zentimeter hoch mit Wasser gefüllt zu werden. Erst Mitte Januar würde Jessup den Tank benutzen können.

  Inzwischen injizierten sie noch Dutzenden von Ratten ihre Mischung und versuchten herauszufinden, wie lange sie im Körper blieb, wie sie transportiert wurde, ob sie im limbischen System blieb und ob sie Ähnlichkeiten mit anderen Stoffen und Verbindungen hatte. Auf jeden Fall wirkte sie synergistisch: Keiner der in ihr enthaltenen Stoffe konnte allein für das seltsame Verhalten der Mischung verantwortlich gemacht werden. Injizierte man den Ratten die einzelnen Anteile, so war nichts zurückzugewinnen; sie wurden im Körper abgebaut und kamen als Abfallprodukte wieder zurück. Sie hatten jedoch noch nicht geklärt, ob der Synergismus nur durch die vollständige Mischung zustande kam oder auch aufgrund von zwei, drei oder vier Bestandteilen möglich war. Sie hatten diese Versuchsreihe noch nicht einmal angefangen; das konnte Monate dauern.

  Parrish verbrachte mittlerweile schon mehrere Stunden täglich mit dem Stoff, und er war sauer deshalb. »Ich bringe mehr Zeit mit diesem blöden Zeug zu als mit meinem eigenen blöden Zeug«, grummelte er.

  Am Dienstag, dem 6. Januar, erhielten sie die Ausdrucke von der Röntgenkristallographie, aber die Ergebnisse waren nicht zufriedenstellend. Die markierten Substanzen schienen sich mit der DNA zu verbinden; andererseits war keine signifikante Veränderung festzustellen. Kurz nach sechs Uhr abends rief Parrish Jessup an, um ihm zu berichten.

  »Keine Veränderung in der DNA?«, fragte Jessup.

  »Nein. Aber ich finde trotzdem, du solltest nichts mehr von dem Zeug nehmen. Das ist kein LSD, verdammt noch mal! Das ist kein Serotonin-Antagonist. Was glaubst du, wieviel Gramm von dem Zeug du schon in dir hast - zwei, drei? Mit so einem Haufen Antimetaboliten im Körper könntest du dir einen hübschen Krebs einhandeln. Dieser Scheißdreck ist verdammt langlebig.«

  »Ach, jetzt hör aber auf, Mason, wir haben ein halbes Dutzend Ratten bis obenhin mit dem Zeug vollgepumpt, und bei keiner haben sich irgendwelche schädlichen Nebenwirkungen gezeigt.«

  »Hör zu, ich finde, du solltest nichts mehr davon nehmen, bis wir es ganz aufgeschlüsselt haben. Wann bist du denn mit dem Isolationstank soweit?«

  »Morgen.«

  »Morgen?!«

  »Hat Arthur dir denn nichts erzählt?«

  Parrish drehte sich zu Rosenberg um, der am anderen Ende seines Büros saß. »Was zum Teufel ist los mit morgen?«

  »Ges
tern hab' ich dir gesagt, dass er den Tankraum fertig hat.«

  »Also, du willst doch wohl nicht zulassen, dass er noch etwas von dieser verdammten Mischung nimmt, oder?«

  Rosenberg zog an seiner Pfeife und dachte nach. Er faltete die Hände im Schoß unter seinem schwellenden kleinen Bauch und lächelte flüchtig. »Wir haben hier ein süßes kleines Problem, Mason«, sagte er leise, »und damit verbunden ein paar faszinierende Spekulationen. Große Mengen von dem Stoff finden wir im Hippocampus wieder. Deutliche Spuren in der Achse von Hypothalamus und Hypophyse und in der Region der Zirbeldrüse, aber hohe Konzentrationen im Hippocampus. Das EEG geht direkt ins Theta. Kein Spindling, nichts. Gerade der Hippocampus steht mit den Thetawellen in Verbindung. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass man die Zeitwahrnehmung verändern kann, wenn man den Thetarhythmus modifiziert. Unsere Substanz könnte also einen Zeitbezug haben. Das limbische System könnte Sitz unserer tiefsten vorgeburtlichen Erinnerung sein. Jedenfalls erzeugt diese Substanz Halluzinationen, die man nur urzeitlich nennen kann.«

  Er blickte zu Parrish hoch, seine Augen leuchteten vor Wissbegier, auf seinen Lippen lag leicht und zitternd ein gedankenvolles Lächeln. »Ja, ich möchte diese Untersuchung noch einen Schritt weiterführen. Ich möchte sehen, was passiert, wenn Eddie noch mal zweihundert Milligramm nimmt, in den Tank geht und sich in die Vorzeit zurückprogrammiert. Meine Güte, zweihundert Milligramm mehr werden ihn nicht umbringen. Bist du denn gar nicht neugierig?«

  Parrish sah Rosenberg kalt an. »Na gut, macht, was ihr wollt. Ihr handelt verantwortungslos, und ihr werdet beide auf die Schnauze fliegen, aber ohne mich.« Dann wandte er sich wieder dem Telefon zu: »Tut mir leid, Eddie, ich hab' mir für morgen Nachmittag den Computerraum reserviert, und ich muss meinen Kram aufarbeiten, den ich wegen eurer verdammten Droge zwei Wochen lang hab' liegenlassen. Ich komme nicht mit euch in euren Scheißtankraum, und ich wäre heilfroh, wenn ich euch beide eine Zeitlang nicht sehen müsste.«

  Er knallte den Hörer auf die Gabel und fauchte Rosenberg an: »Wenn sich herausstellt, dass ihr unerforschte Drogen an Menschen ausprobiert, dann kommt ihr in Teufels Küche, das weißt du doch, oder? Ihr verhaltet euch verdammt unwissenschaftlich, wider alle Regeln verantwortlicher wissenschaftlicher Forschung, und ich habe keine Lust, bei euren blöden Experimenten mitzumachen. Also glaubt ja nicht, dass ich morgen komme, dass ich überhaupt irgendwann mal wieder komme. Am liebsten würde ich diesen ganzen Kram hinschmeißen.«

  Jessups Aufzeichnungen vom 7. Januar 1976 zufolge hatte er in dieser Nacht einen psychedelischen Rückfall. Er schreckte plötzlich entsetzt hoch, hatte das Gefühl, dass kleine Tiere auf ihm herumkrabbelten und an ihm nagten. Er warf die Decke ab und sah seinen Körper schwellen und sich zusammenziehen, als ob irgendwelche Kräfte in seinem Körper durch die Oberfläche zu brechen versuchten. Ein Arm schrumpfte zum Beispiel zu einem krummen, kleinen, pelzigen Vorderbein zusammen, ähnlich dem einer Ratte. Plötzlich hatte er Schwimmhäute an den Füßen, und im nächsten Moment verwandelten sie sich in kleine, haarlose vormenschliche Füße. Er hatte Kopfschmerzen, und als er sich an den Schädel griff, fühlte er, wie die Knochen - vor allem an Kiefer und Stirn - unter der Haut neue Formationen bildeten. Er spürte mehrere Stöße an der Schädelbasis. Um den Brustkorb bildeten sich mächtige Muskelpakete, aber im nächsten Augenblick glich er eher dem Brustkorb irgendeines kleinen Baumbewohners. Die ganze Zeit über lag er steif auf dem Rücken, nur mit einer Pyjamahose bekleidet, hellwach. Es gab nichts daran zu deuteln, das waren keine Traumbilder.

  In dieser Nacht war ein Mädchen bei ihm, eines aus Parrishs Harem von Medidzinstudentinnen. Sie war durch sein Aufschrecken geweckt worden und fragte ihn schläfrig, ob irgendwas los sei. Nein, nichts, gab er zurück. Unter großer Willensanspannung stieg er aus dem Bett und fiel sofort auf die Knie, aber nicht aus Furcht oder Schwäche, sondern weil seine Wirbelsäule ihn zwang, eine Vierfüßler-Haltung einzunehmen.

  Im nächsten Moment konnte er wieder stehen, tastete sich unsicher zum Badezimmer hin, schloss die Tür hinter sich, schaltete das Licht an und betrachtete sich im großen Spiegel. Ununterbrochen verbog und verzerrte sich sein Körper, und was ihm der Spiegel in dem grellen gelben Licht des Badezimmers zurückwarf, war eine Reihe verbundener evolutionärer Bilder von ihm selbst, die eines nach dem anderen im Spiegel aufblitzen und jeweils nicht länger als eine Sekunde dauerten. Die meisten Gestalten wirkten hominid oder protohuman, Ramapithezinen, wie er annahm, aber manche der Spiegelungen zeigten ihn auch als ein feinfingriges, insektenfressendes, Lemuren-artiges Tier, das sich auf einem Baum an einen Ast klammerte und ihn aus übergroßen, sanften Augen anstarrte.

  Das Ganze konnte kaum dreißig Sekunden gedauert haben, und plötzlich war es vorbei. Er stand immer noch da und starrte seinen schlanken weißen Körper an, bewegungslos und seltsam erregt.

  Sein Mädchen war offenbar auch aufgestanden. Sie rief ihm durch die geschlossene Badezimmertür zu: »Alles in Ordnung, Eddie?«

  »Ja, alles bestens«, versicherte er ihr. Um weiteren Fragen vorzubeugen, verließ er das Bad und ging ins Wohnzimmer. »Ich will mir nur ein paar Notizen machen«, sagte er, als er das Licht anknipste. Er setzte sich an seinen Schreibtisch und begann, die Ereignisse der Nacht in seiner gestochenen, steifen Handschrift festzuhalten. Einmal musste er kurz unterbrechen, weil sich in seinem rechten Arm plötzlich ein proto-plasmische Klumpen löste, der sich wie ein Maulwurf unter der Haut fortbewegte und im Ellbogen verschwand. Staunend beobachtete er das Phänomen und wandte sich dann wieder seinen Aufzeichnungen zu. Als er fertig war, ging er wieder ins Bett und fiel in einen tiefen Schlaf.

  Mittwochnachmittag um Viertel nach vier beschloss Mason Parrish, doch noch in den Tankraum zu gehen.

  Er musste sich eingestehen, dass er doch an der Sache interessiert war, wie sollte er auch nicht? Irgendetwas in ihm wollte ihn davon abhalten, eine Ahnung von bevorstehendem Unheil, von grauenhaften Ereignissen; für solche durchdringenden intuitiven Gefühle war er normalerweise nicht anfällig. Jedenfalls ging er hin. Als er den Computerraum verließ, hatte er erst die Hälfte seiner Arbeit getan; er zog seine Schafsfelljacke über seinen weißen Laborkittel und überquerte mit schweren Schritten das Viereck der Medical School. In der kalten Januarluft und dem dunkler werdenden Grau der nahen Abenddämmerung zog er unwillkürlich die Schultern hoch. Er stieg die Stufen zum Gebäude B hoch und ging eine Treppe tiefer ins Untergeschoß. Nachdem er einige vorüber hastende Studenten nach dem Tankraum gefragt hatte, fand er ihn schließlich auf einem mit Spinden und allerlei Kisten und Kästen vollgestellten Korridor. Er öffnete die Tür und ging hinein. Drinnen gab es einen geräumigen Überwachungsraum, in dem vier bis fünf Leute Platz hatten. Jessup und Rosenberg hatten Teile ihrer eigenen Ausrüstung installiert, einen transportablen EEG-Apparat und eine Gegensprechanlage mit Kopfhörern. Ihre Mäntel lagen in einer Ecke übereinander. Parrish zog seinen eigenen aus und legte ihn dazu. Durch ein großes Einwegfenster blickte man in den Tankraum, in dem gerade so viel Licht war, dass er den in der Mitte stehenden, zweieinhalb Meter langen und schwarz angestrichenen Tank erkennen konnte. Parrish hatte noch nie einen Isolationstank gesehen, und für ihn sah er haargenau wie ein Sarg aus. Jessup musste schon hinein gestiegen sein. Rosenberg stand auf einem kleinen Hocker über den Tank gebeugt und brachte die EEG-Leitungen an Jessups Schädel an. Parrish öffnete die Verbindungstür und ging in den Tankraum.

  Rosenberg blickte auf. »Schau, schau«, grinste er, »konntest nicht widerstehen, wie?«

  »Muss einfach wissen, was ihr hier für Hexerei treibt«, sagte Parrish.

  Er blickte über den Rand in den Tank. Jessup schwebte knapp unter der Oberfläche des tintigen Wassers, bewegungslos, ein blasser, kaum wahrnehmbarer, schimmernder weißer Fleck - wie ein großer toter Fisch. Seine Fußgelenke ruhten auf einem kleinen Bänkchen, augenscheinlich sollte es verhindern, dass seine Füße absanken. Sein schneeweißes Gesicht, noch grotesker durch die EEG-Drähte, zwischen denen es hindurchblickte, lächelte Parrish zu, und er bewegte zum Gruß ein paar Finger.

  »Fein, dass du gekommen bist«, tönte sein
e Stimme dumpf von unten herauf.

  »Was ist das da drinnen, irgendeine Salzlösung?«

  »Zehn Prozent Magnesiumsulfat«, sagte Rosenberg; er war jetzt mit den Vorbereitungen für das EEG fertig. Sorgfältig verlegte er die Leitungen in die kleinen Rillen entlang der Tankwand und kletterte von seinem Schemel. »Hilf mir mal mit dem Deckel.«

  Der Aluminiumdeckel des Tanks lehnte im Schatten an der Wand. Rosenberg brachte ihn her, und sie legten ihn sorgfältig auf. Im Oberteil des Deckels war noch einmal eine von Scharnieren gehaltene Klappe. Parrish sah sich plötzlich für einen Augenblick selbst im Tank, er lag unten, der Deckel schloss sich über ihm, eine erschreckende Schwärze strömte über ihn und schloss ihn ein.

  »Brr«, machte er schaudernd; dann ging er mit Rosenberg zurück in den Kontrollraum.

  Rosenberg schaltete die Sprechanlage ein und murmelte: »Eins, zwei, drei, vier« ins Mikrophon.

  »Eins, zwei, drei, vier«, kam Jessups Stimme aus dem Lautsprecher.

  »Okay, du kommst gut an«, sagte Rosenberg; dann setzte er den Kassettenrekorder in Gang und machte die Ansage: »Mittwoch, siebzehnter Januar neunzehnhundertsechsundsiebzig, sechzehn Uhr achtundzwanzig.« Gleich darauf zog er einen phantastischen Roman aus der Gesäßtasche seiner Jeans, hockte sich auf einen Stuhl und begann zu lesen.

  Parrish stand am Fenster und blickte in den dunklen Tankraum. Die Hände hatte er in die Taschen seines Laborkittels vergraben. Der Anblick dieses öden, im Halbdunkel des Raums kaum erkennbaren schwarzen Sargs berührte ihn unangenehm.

  »Hat er das Zeug schon genommen?«, fragte er Rosenberg.

  »Na klar, schon vor einer Viertelstunde.«

  Im Tank lag Jessup weiß und nackt und bewegungslos, ließ seinen Körper in seine eigene Stille einsinken, sah zu, wie die Schwärze immer schwärzer wurde, fühlte, wie sein Atem zugleich flacher und immer voller wurde, bis das Atmen eine Form in sich selbst war, endlos sich selbst verstärkend, bis der ganze Raum nur noch aus Atmen zu bestehen schien. Dann plötzlich Totenstille. Ein Bild flackerte kurz in der raumlosen Schwärze auf: ein Vorgebirge aus Säulenbasalt. Ein anderes Bild: ein schwarzes Meer, das langsam absank, nach unten abfloss. Wieder schwarze Stille. Aufblitzend: eine wellige Ebene, öd und leer, mit Felstrümmern übersät. Wieder der sich senkende Meeresspiegel und das Gefühl, selbst darin zu versinken. Dann wieder dichte, schwarze